Der Arabische Frauenbund e.V. bezeichnet sich selbst als Ersatzfamilie für arabische Frauen in Bremen. In ihren Heimatländern haben viele der Frauen große Familien und enge soziale Netzwerke. Hier gibt es in den meisten Fällen nur den eigenen Mann und die Kinder. Ein wichtiges Ziel des Vereins ist es, ihre Mitglieder zu stärken und ihnen die Sicherheit zu geben, dass sie nicht alleine sind.

Für mein Interview habe ich mich online mit der Kerngruppe des Arabischen Frauenbunds e.V. getroffen. Ich war in der Vorbereitung und auch während des Interviews aufgeregt und nervös. Es war mir wichtig, für eine vertrauensvolle Atmosphäre zu sorgen, in der sich jede Frau wohl und gehört fühlt. Die technischen Probleme zu Beginn waren nicht unbedingt förderlich, aber nachdem wir uns langsam aufeinander eingestellt haben, hat mich der Verein voll und ganz von sich und ihren Zielen begeistert.

»Viele Frauen kommen neu an und fühlen sich hilflos. Unser Wunsch ist es den Frauen Sicherheit zu geben und ihnen zu zeigen, was sie in Bremen machen können.«

Sakina Alyousef – Arabischer Frauenbund e.V.

Genau dieses Gefühl der Orientierungslosigkeit und Ohnmacht kennt Rania Enan nur zu gut. Die Gründerin des Vereins ist Ägypterin und lebt seit 2007 in Deutschland. »Ein alter Hase also”, wie sie selbst sagt. Die Psychologin stand immer auf ihren eigenen Beinen und war sehr aktiv. Als sie nach Deutschland kam, änderte sich das abrupt. »Ich habe mein Heimatland vermisst. Plötzlich war ich alleine. Ich hatte nur meinen Mann und war von ihm abhängig. Ich habe mich gefühlt wie ein kleines Kind. Also überlegte ich, was ich dagegen tun könnte.«

Rania entschied, sich ehrenamtlich zu engagieren, auch um ihre Sprache zu verbessern. Beim Frauenzimmer arbeitete sie als ehrenamtliche Betreuerin. Darüber hinaus begleitete sie arabische Frauen bei Behördengängen oder Arztterminen, um sie sprachlich zu unterstützen. »Ob ich die Sprache unbedingt besser gesprochen habe, bezweifle ich. Aber ich hatte den Mut, ihnen beizustehen, um sie zu unterstützen.« Später lernte sie beim Netzwerk Selbsthilfe selbst, wie sie eine Gruppe organisieren und gründen kann. So entstand 2010 die erste Selbsthilfegruppe. Ein Jahr später gewann sie den Hilde-Adolf-Preis, wodurch neue Türen geöffnet wurden.

»Das war ein gutes Beispiel, dass Migrant*innen sich selbst organisieren können, ohne Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft oder einer Partei.«

Rania Enan – Gründerin Arabischer Frauenbund e.V.

Seit 2015 ist der Frauenbund ein eingetragener Verein. Die Motivation für die Gründung war ihre eigene Erfahrung bei der Ankunft in Bremen. »Ich habe so viel gelitten, obwohl ich für mein Alter sehr stark war. Ich war gut ausgebildet, habe immer gearbeitet. Ich komme aus einer Familie, in der auch meine Mutter gearbeitet hat. Obwohl ich immer selbstständig war, habe ich mich in Deutschland allein und schwach gefühlt. Und deshalb habe ich mir vorgenommen: Ich werde allen Frauen helfen, diese Ohnmacht zu überwinden. Und das tue ich jetzt.«

Genau das betonen die anderen Frauen der Kerngruppe immer wieder, dass Rania versteht, was arabische Frauen brauchen, weil sie in der gleichen Situation war. So ging es auch Jamila, die 2016 aus Syrien kam.

»Obwohl ich mit meiner Familie nach Deutschland gekommen bin, fühlte ich mich einsam und fremd. Ich brauchte Schwestern, Freundinnen und meinesgleichen um mich. Und all das habe ich beim Arabischen Frauenbund gefunden.«

Jamila Al Khalil – Arabischer Frauenbund e.V.

Die Gemeinschaft und der Austausch untereinander sind ganz entscheidend für die Vereinsarbeit. Gegenseitige Unterstützung sowie ein sprachliches und kulturelles Heimatgefühl sind auch ein wichtiger Faktor in Bezug auf die Gesundheit der Mitglieder. Es werden gemeinsame Ausflüge organisiert, Partys gefeiert oder auch Referent*innen zu bestimmten Gesundheitsthemen eingeladen. Für die körperliche Gesundheit bietet der Verein Gruppenaktivitäten wie Zumba, Nordic Walking oder Aerobic an.

Aber auch psychische Gesundheit wird aktiv thematisiert. In der Community wie auch in der Mehrheitsgesellschaft ist dies oft ein Tabuthema. Daher hat der gemeinnützige Verein eine Telefonhilfe für Frauen mit Depressionen eingerichtet. Darüber hinaus gibt es selbstorganisierte Gruppentherapie. »Die Frauen sollen lernen, dass sie nicht alleine mit ihren Gefühlen sind. Dadurch, dass in der Gruppe erlebt wird, dass andere Frauen die gleichen Probleme und Herausforderungen haben, fühlt man sich weniger hilflos.«, beschreibt Rania die Dynamik.

Die Unterstützung der Frauen untereinander und den geschützten Raum, den sie schaffen, konnte ich bei unserem Gespräch spüren. Es ist dieses Gefühl der Gemeinschaft, dass jede einzelne Frau stärkt und den Verein trägt. 

»Viele Männer wünschen sich auch ein Angebot für sich in unserem Verein. Aber das ist nicht einfach zu realisieren. Und außerdem, warum gründen sie nicht selbst einen Verein? Warum sollten sie unter uns sein?«, erzählt Rania. Da scheinen sich alle Frauen sehr einig zu sein, wie ich dem lauten Lachen entnehmen kann.

Neben Gesundheit verfolgt der Arabische Frauenbund vier weitere Ziele: Integration, Gleichberechtigung, Arbeit und Sprache und Kinderförderung. Wie im Gesundheitsbereich bietet der gemeinnützige Verein in allen Bereichen Kurse, Unterstützung und Austausch an.

Dabei spielt Integration natürlich in allen Bereichen eine entscheidende Rolle. Voraussetzung, um sich integrieren zu können, ist es, sich auf Deutsch verständigen zu können. Innerhalb des Vereins haben sie unterschiedliche Angebote, um die Sprache zu lernen, wie Gesprächskreise und verschiedene Deutschkurse. Der Arabische Frauenbund bietet aber auch Arabisch, Englisch, Französisch, Kopfrechnung und Computerkurse an.

»Wir glauben an Integration, aber nicht an Assimilation.«

Rania Enan – Gründerin Arabischer Frauenbund e.V.

Integration in allen Bereichen ist ihr größtes Ziel, dabei wollen sie ihre Kultur aber weiterleben. »Unsere Kinder sollen ihre Muttersprache lernen und wissen, dass es eine tolle und wichtige Sprache ist.«, erzählt Hala Zaidan, die als Lehrerin Arabisch unterrichtet. Deswegen bieten sie im Verein auch Arabischkurse für Kinder an. Durch die Kitas, Schulen, Sportangebote etc. lernen Kinder schnell die deutsche Sprache und finden sich zurecht. Es ist aber auch wichtig, dass die Kinder andere Kinder aus der gleichen Kultur treffen und ihre Muttersprache sprechen.

»Erst wurden nur meine Kinder beim Arabischen Frauenbund unterrichtet. Darüber habe ich selbst angefangen, als Lehrerin Arabisch zu unterrichten. Mittlerweile bin ich Teil der Kerngruppe und organisiere viele Aktivitäten für unsere Kinder. Spiele, Basteln, Dekoration.«

Amira Said Garad

Es ist nicht nur wichtig für Frauen, sondern auch für Kinder andere Kinder zu treffen, die ähnliche Lebensrealitäten und Erfahrungen teilen. Es gibt nicht nur den Kindern Sicherheit, sondern auch den Müttern, sich mit anderen Müttern auszutauschen. 

Sie haben Raum, sich über Erziehung und kulturelle Unsicherheiten auszutauschen. Beispielsweise was sie von der eigenen Kultur beibehalten wollen und was nicht. Aber auch Fragen wie »Was können wir Ende des Jahres der Lehrerin in der Schule schenken? Oder ist es überhaupt üblich, Lehrer*innen zu Weihnachten etwas zu schenken?«, sind den Frauen wichtig zu besprechen. 

Je sicherer die Frauen im Umgang mit kulturellen Fragen werden, desto schneller können sie sich im Alltag ihrer Kinder zurechtfinden und daran teilhaben. Und wenn die Frauen selbstbewusst an der Gesellschaft teilnehmen, können sie das auch an ihre eigenen Kinder weitergeben.

Die Kerngruppe des Arabischen Frauenbunds. Von oben links nach unten links: Jamila Al Khalil, Sakina Alyousef, Hala Zaidan, Rania Enan & Amira Said Garad

Das wichtigste Ziel des gemeinnützigen Vereins ist, den Frauen die Unterstützung zu geben, die sie brauchen, damit sie sich stark fühlen und das nötige Selbstbewusstsein haben, sich in die bremische Gesellschaft zu integrieren und teilnehmen zu können. Und dabei sollen sie sich weder fremd noch als Bürger*innen zweiter Klasse fühlen. Das Gefühl, Teil der Gesellschaft und genauso wichtig wie alle anderen zu sein, wollen sie weiter an ihre Kinder geben.

»Ich bin keine Bürgerin zweiter Klasse, weil ich weniger gut Deutsch spreche. Ich habe auch nicht weniger Rechte, weil ich eine andere Hautfarbe habe. Es ist auch unser Ziel, unsere Stimme als Mensch arabischer Herkunft zu erheben, um als Teil der Bremer Gesellschaft wahrgenommen und akzeptiert zu werden.«

Rania Enan – Gründerin Arabischer Frauenbund e.V.

Nach mehreren Redebeiträgen von Rania hatte ich das dringende Bedürfnis zu klatschen. Ich würde mir wünschen, dass Frauen wie sie in die Politik gehen. Es reicht nicht, sich zu überlegen, was Neuankömmlinge in Deutschland wohl bräuchten, um sich zu orientieren und wohlzufühlen. Es braucht Menschen wie Rania, die in einer ähnlichen Situation waren und die kulturellen Bedürfnisse, Ängste und Herausforderungen verstehen. Mein Vorschlag wurde leider abgelehnt. In der Politik würde sie sich abhängig fühlen.

Ich habe allgemein das Gefühl, dass die Unabhängigkeit der Frauen ihr wichtigstes Ziel ist. Um selbstbestimmt zu leben und zur eigenen Stimme zu finden, braucht es viel Stärke und das Wissen, nicht alleine zu sein. Sie haben ihre Ersatzfamilie, die ihnen zur Seite steht. Empowerment as it best!

Wenn ihr mehr über den Arabischen Frauenbund erfahren möchtet, schaut doch mal auf www.arabischerfrauenbund.wordpress.com vorbei oder folgt ihnen auf Facebook. Wenn ihr den gemeinnützigen Verein unterstützen wollt, könnt ihr das mit einer Spende an: Arabischer Frauenbund e.V.;  IBAN: DE 26 2905 0101 0081 6657 13; Referenz: Spende 

Text: Nuria Fischer, Fotos: Jule Schlicht